Temporäre Leseproben TTW

Auszug aus dem Kapitel: South Dakota - auf den Spuren von Sitting Bull und Crazy Horse


Seltsam, auf der Schotterstraße ist kein einziges Wohnmobil unterwegs. Eine faszinierende Prärielandschaft umgibt uns und wir genießen endlich das Gefühl der Freiheit, das wir so lange vermisst haben. 

Auf dem weitläufigen Campground verlieren sich gerade mal ein altes Wohnmobil, ein Wohnwagen und ein paar Zelte. Wo sind die vielen Luxuskarossen geblieben? Vermutlich dort, wo es Full Hookup (Strom, Wasser- und Abwasserentsorgung direkt am Stellplatz) gibt. Was sollten sie ohne Strom auf diesem primitiven Naturplatz, wo auch noch der Betrieb des Generators verboten ist? 

Kaum, dass wir die Handbremse angezogen haben, hat uns das Gewitter eingeholt und es gießt wie aus Kübeln. Aber schließlich reißt der Himmel wieder auf und versöhnt uns mit einem dramatischen Sonnenuntergang.

Dort, wo wir in der Prärielandschaft das Gefühl der Freiheit verspüren, haben sie einst ihre Freiheit verloren: Sitting Bull, Crazy Horse, Spotted Tail, Red Cloud, Little Big Man, Big Foot - längst sind die Namen der großen Sioux-Kriegshäuptlinge Legende - Symbol des aussichtslosen, verzweifelten Kampfes der Dakotas, wie die Sioux eigentlich heißen, gegen die Übermacht der nach Westen vordringenden Weißen.


Als im Herbst 1890 der Kampf längst geschlagen ist, die Oglalas und Minneconjous, die Tetons und Hunkpapas in zerstückelten Reservaten zusammengepfercht, und die meisten ihrer großen Häuptlinge ermordet oder interniert sind, taucht plötzlich in Nevada ein selbsternannter Messias auf. Der Messias heißt Wovoka und ist ein Indianer vom Stamm der Pajute. Er lehrt die Indianer einen Geistertanz und predigt den geschlagenen Stämmen, dass der große Geist im nächsten Frühjahr auf die Erde zurückkäme und mit ihm alles Wild und alle Büffel. Und auch alle toten Indianer kämen zurück und wären plötzlich wieder jung und stark, während die Weißen in einer großen Flut ertrinken würden. Aber bis dahin müssten alle Indianer den Geistertanz tanzen, immerzu, und sie dürften darin nicht müde werden.


Auch die Sioux beginnen wie wild zu tanzen. Die Minneconjou-Sioux um Häuptling Big Foot, fast ausschließlich Witwen, tanzen bis zum Umfallen, um ihre toten Krieger zurückzuholen. Die Weißen wähnen beim Anblick der wild tanzenden Indianer Arges. 

Die Missionare erklären den Tanz zur verwerflichen Religion, die Armee wittert Aufruhr und befiehlt, die Anführer zu verhaften und in Militärgefängnissen zu internieren. Hunkpapahäuptling Sitting Bull wird bei dieser Aktion getötet, Big Foot und seine Minneconjous fliehen. 

Am Porcupine Creek werden sie von vier Kavallerietrupps gestellt. Big Foot ist an Lungenentzündung erkrankt und hat eine weiße Fahne hissen lassen. Die Minneconjous werden ohne Gegenwehr in ein Militärlager am Wounded Knee gebracht. 120 Männer und 230 Frauen und Kinder schlagen am Abend des 28. Dezember 1890 südlich des Militärlagers ihre Wigwams auf. Damit keiner der gefangenen Indianer fliehen kann, postiert der Befehlshaber zwei Trupps Kavallerie um die Wigwams und lässt zwei Kanonen auf einem Hügel über dem Lager aufstellen. Am nächsten Morgen werden die Männer aufgefordert, Waffen und Munition abzugeben. Sie gehorchen der Übermacht mit finsteren Blicken, nur der Medizinmann protestiert und auch Black Coyote, ein junger Minneconjou, will seine neue Winchester, für die er viel Geld bezahlt hat, nicht abgeben. Beim Versuch, ihn gewaltsam zu entwaffnen, fällt ein Schuss. 

Sekunden darauf erfüllen Pulverdampf und das Krachen der Karabiner die Luft. Unter den Sterbenden, die auf dem gefrorenen Boden liegen, ist auch Häuptling Big Foot. Die Indianer, die kaum Waffen besitzen, versuchen zu fliehen, worauf sie von den Kanonen auf dem Hügel unter Beschuss genommen werden. Die Schrapnells zerfetzen die Wigwams, töten Männer, Frauen und Kinder. ”Wir versuchten fortzulaufen”, erzählt Louise Weasel Bear, ”doch sie schossen auf uns, als wären wir Büffel. Ich weiß, dass es auch gute Weiße gibt, doch Soldaten, die auf Frauen und Kinder schießen, müssen böse sein. Indianische Soldaten würden niemals weiße Kinder erschießen.”

Als das Massaker endet, sind Big Foot und über die Hälfte seiner Leute tot oder schwer verwundet. 135 Tote werden gezählt, doch viele Verwundete sind fortgekrochen und sterben später in der eisigen Kälte. Einer Schätzung zufolge kommen an diesem 29. Dezember 1890 fast 300 von den 350 Männern, Frauen und Kindern ums Leben. Das Massaker ist der letzte bewaffnete Konflikt zwischen der US-Kavallerie und den Sioux. Mit ihm war der indianische Widerstand gebrochen. 

Dee Brown schreibt im Vorwort zu seinem Buch ”Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses”: ”Und sollte der Leser einmal sehen, welcher Schmutz und welches Elend in einem heutigen Indianerreservat herrschen, dann wird er vielleicht besser verstehen, warum.” Wir glauben, es verstehen zu können, trotzdem stürzt uns der Besuch im Pine Ridge Reservat in ein Wechselbad der Gefühle.

Das Reservat zählt heute zu den ärmsten Regionen Amerikas. Armut, fehlende Arbeitsplätze, mangelnde Perspektiven sind auch hier, wie überall, ein idealer Nährboden für Alkoholismus, Gewalt und Kriminalität. 

Aber als wir den Campground im National Park verlassen und wieder die Gravelroad unter die Räder nehmen, treten die alten und neuen Probleme der ehemaligen Prärieindianer in den Hintergrund und wir spüren heute wieder ein euphorisches Gefühl der Freiheit. Die Landschaft, die Weite und Einsamkeit im Pine Ridge Reservat der Oglala faszinieren uns weit mehr als der Nationalpark. Erst die Gedenkstätte am Wounded Knee erinnert uns wieder an die Gräuel die hier vor kaum mehr als 100 Jahren stattfanden.

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